Dr. Kurt Müller, Mitglied im Vorstand von EUROPAEM, schreibt Brief an Gesundheitsminister Spahn mit zwei Positionspapieren zur medizinischen Einschätzung der Intensivmassnahmen.


Einführung

Letalität der auf Intensivabteilungen behandelten COVID-19 Patienten

Zum besseren Verständnis der nachfolgenden Ausführungen und der chronologischen Abläufe stelle ich diese Informationen voran. Wie viele in unserer Gesellschaft hatte ich Mitte März die bedrückenden Fernsehbilder aus den Intensivstationen in Cremona und Bergamo gesehen. Das Bild der erschöpft auf dem Schreibtisch zusammen gesunkenen Krankenschwester mit den dahinter in Bauchlage beatmeten Patienten berührte besonders. Im Interview später sagte sie: „Alle Patienten, die wir bisher hier behandelt haben, sind mit Ausnahme eines 25jährigen Manns verstorben.“ Als ich die Bilder sah und diese Worte hörte ließ mich ein Gedanke nicht mehr los: es muss ein systematischer Fehler vorliegen, der dieses Ausmaß an Erfolglosigkeit erklärt. Ich machte mich an die Arbeit, die physiologischen Interaktionen von Entzündung, oxidativem und nitrosativem Stress, die damit verbundene Aktivierung des angeborenen Immunsystems und die Rolle des Sauerstoffs in diesem Zusammenhang zu explorieren. Mir kam zu Gute, dass ich im vergangenen Jahr ein Vortrag zu dieser Thematik gehalten hatte. Wegen der Schwierigkeit des Themas hatte ich eine lange Vorbereitungszeit gewählt, um die Literatur gründlich zu sichten. Innerhalb von zwei Tagen hatte ich die schwierigen Zusammenhänge des grundsätzlichen Problems der COVID-19 Patienten geordnet.

Ich fasste sie in zwei Positionspapieren zusammen. Das erste beschäftigt sich damit, ob die gesundheitlichen und sozialen Konditionen der heutigen Gesellschaft grundsätzlich das Risiko für Epi- und Pandemien erhöhen. In dieser Kenntnis liegt die Chance der Prävention, nicht in Impfprogrammen. In dem zweiten Positionspapier setze ich mich damit auseinander, welches besondere Risiko bei COVID-19 Patienten durch künstliche Beatmung entsteht. Ich habe in beiden Fällen versucht, die Sachverhalte in verständliche Sprache zu transferieren, um es leichter erkennbar werden zu lassen, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Ich richtete mich in meinen Schreiben an verschiedene Personen, die sich aus unterschiedlichen Gründen mit der Thematik befassten. Bis auf den Bundesminister für Gesundheit Spahn nenne ich keine Namen, da es mir nicht um die Anklage von Personen geht. Der Hergang zeigt allerdings, dass mit Sachdiskussion nichts zu erreichen ist. Keine der angeschriebenen Personen/Institutionen antwortete. Verzichtet man auf medialen Rummel, verhallt das Unbequeme ungehört. Politik und Wissenschaft begünstigen so das Aufbegehren auf der Straße, dass sie gleichermaßen bedingen wie verurteilen.

1. Schreiben an den Bundesminister für Gesundheit.
Dieses Schreiben enthielt Punkt 5 des Positionspapiers 2 nicht. Dieser Teil wurde später ergänzt.

2. Schreiben an die Vorsitzenden der beiden Gesellschaften für Intensiv- und Notfallmedizin. Auch diese Schreiben enthielten Punkt 5 des Positionspapier 2 noch nicht.

3. Schreiben an einen Chefarzt einer pneumologischen Abteilung, der sich in der FAZ kritisch zum Thema Beatmung bei COVID-19 geäußert hatte. Es gab keine Antwort.

4. Schreiben an einen weiteren Chefarzt einer Abteilung für Pneumologie mit angeschlossener Abteilung für Intensivmedizin. Er hatte die „Konzeptlosigkeit bei der Therapie der COVID-19 Patienten in einem Fernsehinterview beklagt. Er bestätigte als Einziger den Eingang meines Schreibens, antwortete aber ebenfalls nicht.

5. Kommentar des Artikels: Postmortem Examination of Patients With COVID-19, der in JAMA erschienen war (PMID: 32437497). Er wurde an die Autoren geschickt wurde. Es gab bis jetzt keine Stellungnahme dazu.

Anmerkung: Da das Magazin Monitor über vier französische Patienten berichtete, die von einer badischen Klinik zur Behandlung übernommen worden waren und alle überlebten, nachdem die Beatmung eingestellt wurde, wendete ich mich an dieses Magazin. Ich erhielt die standardisierte Antwort für alle nicht erbetenen Zusendungen. Dabei beließ man es.


Brief an Minister Spahn

Bundesminister für Gesundheit
Jens Spahn
Friedrichstraße 108

10117 Berlin

30. März 2020

 SARS CoV 2 Pandemie

 Sehr geehrter Herr Minister,

in der Anlage sende ich Ihnen zwei Positionspapiere. Das erste befasst sich mit den individuellen Risiken der Menschen einer Population an Virusinfektionen zu erkranken. Es erlaubt bessere Präventionsstrategien in der Zukunft. Das zweite setzt sich mit den ungenügenden Erfolgen der Behandlung der schwer erkrankten Menschen auf Intensivabteilungen auseinander. Fände die von mir begründete Sicht der Dinge Ihre Zustimmung und die Ihrer Berater, müsste dies eine unmittelbare Änderung der Strategie der Behandlung schwerer Krankheitsfälle zur Folge haben. Der befürchtete Engpass an Beatmungsgeräten wäre zu bezweifeln und eine weitere Aufrüstung unnötig.

Meine Erfahrung mit Institutionen der BRD lässt erwarten, dass Sie dieses Schreiben nie zu Gesicht bekommen. Ich schreibe es dennoch aus meinem Verständnis von Pflicht, die sich aus meiner Kenntnis ergibt.

Hochachtungsvoll

Dr. Kurt E. Müller

Anlagen: Positionspapier 1 und 2


Positionspapier 1

25.03.2020

Positionspapier 1 zur Problematik der SARS-CoV 2 Infektionen

Während der vergangenen vier Jahrzehnte ist es zu bedeutsamen Modulationen immunologischer Reaktionen aus vielen Gründen gekommen. Bei einem Teil der Gesellschaft wurde dadurch die Fähigkeit Infekte abzuwehren, gemindert.

1. Veränderung der T-Helferzell 1- und T-Helferzell 2-Balance (TH-1/TH-2)
Seit mehr als vier Jahrzehnten ist eine Verschiebung der Balance zwischen diesen beiden kooperierenden Zellsystemen des adaptiven Immunsystems festzustellen. Die TH1-Zellen repräsentieren das Defense System, die TH-2 Zellen das Tolerance-System. Die TH2-Zellen haben u.a. die Aufgabe, das Ausmaß der Verteidigungsreaktion auf das für den Anlass notwendige Maß zu regulieren. Beide Zellsysteme werden in einer ausgewogenen Funktion nebeneinander benötigt und bekommen im Krankheitsfall notwendige Dysbalancen. Das bedeutendste Zytokin der TH-1 Zellen ist IFN-y sowie für die Zellproliferation IL-2, die Zytokine IL-4, IL-10 und IL-13 sind es bei den TH-2 Zellen. Das Problem der zurückliegenden vier Jahrzehnte war, dass ein zunehmender Shift hin zu einer Dominanz der TH-2-Zellfunktion festzustellen war. Als ich mich 1981 zusammen mit einem Kollegen in eigener Praxis niederließ, ging man davon aus, dass diese Situation auf 7% der Bevölkerung der alten Bundesländer zutraf. Nach etwa zehnjähriger Tätigkeit und nachdem wir in unermüdlicher Arbeit ca. 48 000 Patienten behandelt hatten, machte ich diesbezüglich Bilanz. Nach meiner Einschätzung musste der Anteil dieser Population zu diesem Zeitpunkt bereits bei ~ 30% der Bevölkerung liegen und ich trug es auf einem Kongress vor. Daraufhin wurde ich als Panikmacher von den relevanten Ordinarien der süddeutschen Universitäten desavouiert. Man entschloss sich, eine Studie in dem von mir versorgten Raum Kempten und Oberallgau, sowie im Umfeld von Bad Reichenhall und Schorndorf durchzuführen. Die Studienleitung hatte Prof. Überla, damals Ordinarius für Epidemiologie an der LMU in München. Diese Studie bestätigte mit einer Prävalenz dieses Sachverhalts von 34% in der Bevölkerung meines Versorgungsgebiets meine Aussage. Man wird leider nicht rehabilitiert. Die größte Studie, die meines Wissens derzeit zur Verfügung steht, stammt aus dem Jahr 2008 und wurde im Rahmen einer Dissertation von Ulrich am Sozialmedizinischen Institut der Universität Lübeck an der gesamten Bevölkerung der Stadt (230 00 Einwohner; Anlage 1) durchgeführt. Abhängig von der Zuordnung zu den Lebensdekaden schwankten die Ergebnisse zwischen 35 und 45%. Dieser Shift wurde auch in einer Publikation von Bach bereits 2002 festgestellt (Anlage 2). Die gesteigerte Funktion der TH-2 Zellen geht mit einer Erhöhung der IL-10 Ausschüttung einher, was zu einer Hemmung der TH-1 Zellen und der Makrophagen führt (Anlage 3: Roitt et al. Immunology, 2006) Damit wird die notwendige Defense Reaktion abgeschwächt. Stattdessen sehen wir eine Zunahme der atopischen Krankheiten und der Autoimmunerkrankungen, insbesondere wenn IL-9 Expression hinzukommt. Die Abwehr von Virusinfekten ist dabei gemindert. Mich hat es immer überrascht, warum sich die Hausärzte nicht stärker zu Wort gemeldet haben, da sich in den vergangenen 5-6 Jahren banale Erkältungen bei vielen Patienten über 6-8 Wochen, manchmal sogar länger, hingezogen haben.

2. Konditionierung des Immunsystems
Eine ganze Reihe von Faktoren spielt bei der Entwicklung des Immunsystems eine Rolle. Zu nennen sind: Genetik, Epigenetik (Perinatal Programming), Umwelteinflüsse, Hygiene, Exposition gegenüber Mikroben und die Entwicklung des Mikrobioms. Ich selbst habe mich besonders mit den Effekten der chronischen Einwirkungen von Chemikalien im alltäglich vorkommenden, subtoxischen Niedrigdosisbereich befasst. Dabei zeigte sich, dass gleiche Chemikalien in einem Fall chronische Inflammation (silent sive smouldering inflammation), im anderen Fall eine Hemmung der notwendigen Inflammation auslösen können. Ich habe dies am Beispiel der Phthalate (Weichmacher in vielen Kunststoffprodukten, zudem endicrine disruptor) dargestellt (Anlage 4). Andere Chemikalien können dies in gleicher Weise. Kommt es zur Aktivierung der TH-2 Zellen und zur Ausschüttung von IL-10, wird die Immunreaktion gegenüber Influenza Antigen praktisch völlig unterdrückt. Solche Menschen entwickeln keine adäquate Immunreaktion im Fall von Virusinfekten. Es könnte dies inzwischen bei annähernd 40% der Bevölkerung der Fall sein.

3. Makrophagen
In der Infektionsbekämpfung spielen die Makrophagen eine zentrale Rolle, von denen es zwei Typen gibt. Die Makrophagen werden allerdings auch zur Verarbeitung von inkorporierten Partikeln benötigt. Die beste Leistung erreichen sie bei Partikeln zwischen 14 und 21 µm, die in den Lysosomen zerstört werden. Kleinere und größere Partikel werden interstitiell abgelagert. Die Beanspruchung der Makrophagen für diese Aufgabe ist in den letzten Jahrzehnten ständig gestiegen. Sie stehen deshalb für die Bekämpfung von Virusinfekten nur begrenzt zur Verfügung. Dies kann erklären, warum die Infektion mit SARS-CoV-2 in Gebieten mit hoher Partikelbelastung (China, Lombardei, verschiedene Metropolen) besonders schwer verlaufen. Obduktionen einiger Verstobener wären wünschenswert, um die strukturellen Veränderungen an der Lunge zu untersuchen und zu klären, warum die künstliche Beatmung in vielen Fällen so wenig effektiv ist.

4. Stressreaktion durch Katecholamine
Der ursprünglich für Notfallreaktionen vorgesehene Gebrauch von Katecholaminen (KA) erfolgt inzwischen im alltäglichen Leben. Grund hierfür sind Tempo, Zeitdruck, Komplexität des täglichen Lebens, sozialer Stress und Funktionseinbuße des parasympathischen Nervensystems. Die Ansicht, dass deren Produktion nur im ZNS, den NNR und dem sympathischen Nervensystem erfolgt, ist überholt. KA und ihre Rezeptoren werden von einer ganzen Reihe der Immunzellen produziert (Pongratz, Sanders, Besodovsky, del Ray, Müller). Die andauernde Stressreaktion durch KA hemmt die Immunfunktion. Dieser Effekt dürfte bei Chinesen eine sehr große, bei uns eine große Rolle spielen. Verstärkt wird er bei den Menschen, die eine genetisch geminderte Funktion der Catechol-O-Methyltransferase (COMT) aufweisen, was bei ~15% der Bevölkerung der Fall ist.

5. Schlussfolgerung
Der größte Teil der dargestellten Faktoren ist beeinflussbar. Die Maßnahmen müssen allerdings in der Pan- bzw. Epidemie-freien Zeit erfolgen. Sie haben, anders als die Impfung auch bei neuen Virusmutationen präventiven Charakter. Meine Patienten wurden in den letzten zehn Jahren meiner Tätigkeit entsprechend therapiert. Es gab auch bei den nicht geimpften Patienten keinen Fall von Influenza (auch bei den über 80jährigen nicht), grippale Infekte wurden in einer Woche abgewickelt. Einen Impfstoff, vergleichbar dem Lebendimpfstoff der Pocken, wird es bei Corona nie geben. Das „Hinterherimpfen“ mindert die schweren gesundheitlichen und ökonomischen Probleme nur begrenzt. Die diskutierten Therapeutika können allenfalls den Krankheitsverlauf erleichtern, sie reduzieren die Rate der erkrankten Patienten nicht.


Positionspapier 2

25.03.2020

Positionspapier 2 zur Problematik der Behandlung von SARS-CoV 2 Infektionen

1. Sachverhalt
Ein auffälliges Merkmal der schwer verlaufenden SARS-CoV 2 Infektionen ist, dass die Überlebensrate der schwer erkrankten Patienten gering ist, die auf Intensivabteilungen behandelt und künstlich beatmet werden. Trotz dieser Tatsache wird zu wenig darüber nachgedacht, ob dieses Behandlungskonzept nicht durch ergänzende oder geänderte Maßnahmen erweitert werden sollte.

2. Grundlagen
Bei Infektionen in Körpergeweben entwickelt der Organismus oxidativen Stress im betroffenen Gewebe als Verteidigungsreaktion. Der oxidative Stress ist die früheste Abwehrreaktion von Zellen und war bereits bei den grünen Schwefelbakterien vor mehr als zwei Milliarden Jahren entwickelt. Mitochondrien erzeugen bis heute diesen oxidativen Stress durch Ausschüttung von Sauerstoffspezies (z.B. H2O2) und freie Radikale, die bei der ATP Produktion entstehen. Unter ihnen ist das Hydroxylradikal (HO°) das aggressivste. Dieser Mechanismus wird schon vor der Aktivierung des Immunsystems eingesetzt. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Angeborenes und adaptives Immunsystem entwickelten sich im Übrigen evolutionär deutlich später und werden auch im Organismus erst Zeit versetzt aktiviert.

3. Risiko des oxidativen Stresses, Kompensation des Risikos
Oxidativer Stress ist auf Grund seines aggressiven Potenzials nicht nur eine gewollte Waffe gegen die unerwünschten Erreger, sondern auch eine Gefahr für das betroffene Gewebe und letztendlich den ganzen erkrankten Menschen auch, wenn er nicht kontrolliert abläuft. Um dieses Risiko zu kontrollieren, haben sich evolutionär Schutzmechanismen durchgesetzt. Die genetisch konditionierten Enzyme der Gruppe der Katalasen sowie die Mangan-Superoxiddismutase 2 (MnSOD2) sind die entscheidenden Entwicklungen gewesen. Mit ihrer Hilfe gelingt es, den oxidativen Stress im Körper auf das Ausmaß zu regulieren, wie er zur Bewältigung des anstehenden Problems benötigt wird. Diese Fähigkeit ist, wie bereits angedeutet, genetisch individuell unterschiedlich gut ausgeprägt und kann außerdem zusätzlich epigenetisch funktionell verändert werden. Es ist neben der individuellen Modulation der Immunfunktion und der Schadstoffbelastung der Lunge (insbesondere Übergangsmetalle) ein wesentlicher Sachverhalt, warum die Intensität der Krankheitssymptome und der Schweregrad der Erkrankung der Menschen bei gleichem Anlass unterschiedlich ausfallen.

4. Manifestation an den Atemwegen
Corona Viren befallen seit jeher die Atemwege in unterschiedlicher Ausdehnung. Bei CoVID 19 ist die Lunge stärker involviert und damit auch die Fläche des oxidativen Stresses größer. Konfrontiere ich eine größere Fläche, die ohnehin oxidativem Stress ausgesetzt ist mit mehr Sauerstoff, wird die Bildung freier Sauerstoffradikale zunehmen. Das kann am Anfang nützlich sein, weil die initiale Abwehr rascher aktiviert wird. Je länger die Behandlung dauert, desto größer wird das Risiko, insbesondere wenn die Katalasen und die SOD2 in der Leistung gemindert sind. Gleichzeitig nimmt der Flüssigkeitsgehalt des Interstitiums zu, da der oxidative Stress ein flüssiges Milieu benötigt. Es entsteht das Bild der Fluid Lung, wie es bei Dialysepatienten vorkommen kann. Wenn auch aus anderen Gründen. Das vermehrt anfallende Superoxid verbindet sich mit dem bei Entzündungen immer erhöhten Stickoxid (Nobelpreis für Fürchtgott für die Entdeckung) zu Peroxinitrit, was den oxidativen Stress weiter erhöht und die Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine durch Freischaltung von NF-kB weiter steigert. Das bedeutet, dass die Entzündung zunimmt. Dazu wird die Adensosintriphosphat (ATP) Produktion für die Energiebereitstellung gemindert, obwohl der Energiebedarf vom Gehirn und Immunsystem erheblich steigt. Zur Kompensation erzeugt der Körper eine muskuläre Atonie, was die Wahrscheinlichkeit zur Rückkehr der Patienten zur Spontanatmung mindert. Der hohe Bedarf an ATP führt zu seiner kompletten Dephosphorylierung (96,9 kJ/mol). Es entsteht verstärkt Adenosin, das stark immunsuppressiv wirkt.

5. Oxidative Burst
Läuft der oxidative Stress in den Geweben und letztendlich im ganzen Menschen nicht mehr kontrollierbar aus dem Ruder, verursacht er Oxidative Burst. Dabei werden die Granulozyten (insbesondere die neutrophilen G.) und die Makrophagen zerstört. Oxidative Burst wird durch Metalle (insbesondere Übergangsmetalle) aber auch andere Schadstoffe erheblich begünstigt. Dieser Mechanismus kann die besonderen Probleme älterer Menschen und in Ballungsräumen u.a. erklären. Granulozyten und Makrophagen sind besonders gute Abwehrwaffe gegen Viren aber auch andere Erreger. Durch ihre Schädigung wird die letzte Phase des Krankheitsverlaufs eingeleitet. Bakterielle Sekundärinfektionen können sich nun ungehindert entwickeln. Antibiotika wirken nicht mehr, da auch sie auf ein Mindestmaß der Funktion von Granulozyten angewiesen sind. Es ist bekannt, dass Kinder, die ohne die Fähigkeit, Granulozyten zu bilden, geboren werden, dem Tod geweiht sind, wenn sie nicht sofort in sterilen Zelten isoliert werden. Geschieht das nicht, sterben sie an banalen Infekten.

6. Ergänzende Therapieoptionen
Forcierte medikamentöse Diurese bei Einsetzen von Atemnot unter Beachtung der dadurch auslösbaren metabolischen Defizite. Dazu hoch dosierte Verwendung von Antioxidantien und antiinflammatorischen Medikamenten, um die Inflammation und den oxidativen Stress zu mindern, der insbesondere bei älteren Patienten infolge metabolischer Defizite nicht kompensiert werden kann. Wenn diese Maßnahmen nicht rasch Wirkung haben, Einsatz der Hämofiltration, die sich bei Fluid Lung bei Dialysepatienten sehr bewährt hat und das von diesen und den Corona-Patienten geschilderte Symptom des Ertrinkens rasch bessern kann. In dieser Situation Beendigung der invasiven Beatmung. Bereits die Entwässerung der Lunge reduziert die Inflammation, da der für den oxidativen Stress notwendige Elektronenfluss hierdurch entscheidend gemindert wird. Bei besonders schweren Fällen sollte trotz der Virämie präfinal die Gabe von 2 bis 4 g Cortison i.v. als Ultima Ratio überlegt werden. Katecholamin Einsatz, wie bei Schockpatienten, ist aus meiner Sicht kontraindiziert.


Schreiben an Chefarzt Pneumologie

10.04.2020

Interview in der FAZ N. 83, Seite 7,
vom 07.04.2020
„Es wird zu häufig intubiert und invasiv beatmet.“

Sehr geehrter Herr Prof. …..

mit großem Interesse habe ich Ihre Ausführungen in der FAZ gelesen, stimmen sie doch mit meiner eigenen Sicht sehr überein, obwohl mein Blick aus der Sicht einer anderen Disziplin erfolgt und ich weder Pneumologe noch Intensivmediziner bin. Ich darf kurz einige Angaben zu meiner Person machen: 73 Jahre alt, Beendigung meiner Tätigkeit als niedergelassener Arzt vor einem Jahr. Gründer und Vorsitzender einiger Fachgesellschaften. Jetzt noch Dozent an der Dresden International University in den nationalen und internationalen Masterstudiengängen zur postgraduierten Weiterbildung in Präventionsmedizin. Ich denke, dass ich zu den Angaben im Briefkopf in den Bereichen Evolutionsmedizin, Biochemie, Immunologie und funktionelle Medizin eine solide Ausbildung besitze, auf Grund derer ich zu den in der Anlage beigefügten Ergebnissen gekommen bin, die mit Ihrer Einschätzung weitgehende Übereinstimmung hat. Meine diesbezüglichen Schreiben an den Bundesminister für Gesundheit und die Vorstände der beiden Gesellschaften für Notfall- und Intensivmedizin blieben unbeantwortet.

Ich sende Ihnen in der Anlage das Positionspapier 2, das sich mit der Thematik befasst, die Sie vorzüglich dargestellt haben. Ich würde mich freuen, wenn Sie einen Blick in meine Ausführungen zum Thema werfen könnten. Im Positionspapier 1 hatte ich noch Angaben zur Entwicklung des generellen Risikos von Virusinfekten in der Gesellschaft gemacht, was für die aktuelle Situation nicht so bedeutsam ist, aus meiner Sicht allerdings für die Prävention von Risiken beachtenswert sein kann.

Mit freundlichen Grüßen

Kurt E. Müller


Kommentar Publikation in JAMA

Bericht der AZ vom 23.Mai 2020
Uniklinik obduziert Corona-Tote. Studie entlastet Intensivmedizin

Sehr geehrter Herr Prof. …….,
Sehr geehrte Frau Dr. ……….,

unter Beachtung der biochemischen Mechanismen der Infektionen des Menschen mit Viren im Allgemeinen und die mit COVID-19 im Speziellen, kann der von Ihnen in der Presse wiedergegebenen Feststellungen nicht zugestimmt werden: „Die wichtigste Erkenntnis der ersten Analyse ist, dass die beschriebenen Lungenschädigungen offensichtlich nicht eine Komplikation der Beatmung darstellen. Alle Patienten litten an schweren Grunderkrankungen, die jedoch nicht unmittelbar zum Tode führten.“ Den entscheidenden Schluss ziehen sie daraus, dass die Hälfte der obduzierten Toten gar nicht beatmet wurde. Ich werde nachfolgend darstellen, warum ihre Interpretation nicht gerechtfertigt ist und würde mich freuen, wenn Sie dennoch weiterlesen würden. Ich versuche die komplexen Zusammenhänge möglichst komprimiert darzustellen und habe Abbildungen zur Illustration als Anlage beigefügt. Ich darf Sie bitten, das Copyright zu beachten, da sie Teil meiner vorgesehenen Publikation sind.

1. Oxidative Shielding und Oxydative Stress

Die erste Verteidigungsreaktion gegenüber Viren ist nicht immunologischer, sondern physikalischer Art: der oxidative Stress, der im Sinne der Defense-Reaktion von Naviiaux auch als Oxydative Shielding bezeichent wird (Naviaux 2012: Oxidative Sheilding or Oxidative Stress? DOI:10.1124/jpet.112192120). Evolutionär ist dieser Mechanismus bereits mehr als 2 Milliarden Jahre alt und in den Grundzügen wie damals geblieben. Die Mitochondrien sind bis heute der Ort des Geschehens. Die Zelle nutzt für diese Defense Reaktion die bei der ATP-Bildung durch Protonen übrigbleibenden Elektronen. In Verbindung mit Sauerstoff (O2) werden freie Sauerstoffradikale (ROS) gebildet (Superoxid, Singulet Sauerstoff, Hydrogenperoxid, Hydroxylradikal und Peroxylradikal in: Littaru 1994: Energy and Defense. Casa Editrice Scientifica Internationale, Rom). Diese ROS werden bis heute bei der Verteidigung gegenüber Erregern unterschiedlichster Art eingesetzt. Die Methode steht schnell zur Verfügung, da die Mechanismen grundsätzlich auch beim Gesunden stets in geringer Form ablaufen. Die Aktivierungszeit ist deutlich schneller als die des Immunsystems. Wird Superoxid nicht benötigt, wird es im ersten Schritt durch Mangan-Superoxiddismutase 2 (MnSOD2) zu Wasserstoffperoxid katabolisiert (H2O2), das immer noch ein Sauerstoffradikal ist. Im 2. Schritt wird es durch Katalasen zu Wasser (H2O) katabolisiert. Dieser Schritt ist besonders wichtig für die Bildung des interstitiellen Ödems der Lunge, das Sie bei der Obduktion sehen. Liegt eine Infektion vor, bildet der Organismus Stickoxid (NO). Seine Bedeutung wurde von Fürchtgott 1992 erstmals beschrieben. Er erhielt dafür 1996 den Nobelpreis. Obwohl NO strukturell kein Zytokin ist, maßen Roitt et al. ihm die funktionelle Bedeutung eines Zytokins zu (Roitt et. al.: Immunology, Sixth Ed.) NO ist zudem bakterizid und viruzid und dilatiert die Gefäße, um den Blutstrom an den Ort des Geschehens zu lenken. Letzter Sachverhalt ist u.a. an dem Thromboembolie-Problem beteiligt, das bei COVID-19 Patienten beschrieben wurde. NO reagiert leicht mit Superoxid zu Peroxinitrit, dem stärksten biologischen Verursacher von oxidativem Stress (Beckman 1996: Nitric oxide, superoxide and peroxinitrate: the good, the bad and the ugly. Am J Pathophysiol 268. C1424-1437). Der oxidative Stress ist der Aktivierer des Immunsystems durch Freischaltung von NF-kB,. Von da ab beginnt die Produktion proinflammatorischer Zytokine (IFN-Y, IL-1ß, IL-6, TNF-α u.a.) Die Zytokinfreisetzung steigert die induzierbare Stickoxid Synthase (iNOS), die die NO-Produktion verstärkt. Ein Kreislauf ist geschlossen. Calcium Einstrom kann zudem die endotheliale NOS (eNOS) bzw. die neuronale NOS (nNOS) aktivieren, was zu einer Inflammation auch an diesen Orten führt (Pall 2007). Die Abstimmung des oxidativen Stresses auf das erforderliche Maß ist notwendig, um nicht durch ein unkontrolliertes Maß erhebliche Risiken zu erzeugen. Hierbei spielt Ubiquinol eine zentrale Rolle (s. unten). Weiterhin muss Cholesterin ausreichend vorhanden sein, da es das Basis-Molekül der Produktion von Kortisol sowie des „Mutterhormons“ der Sexualhormone Pregnenolon ist, das in Mitochondrien synthetisiert wird (Römmler 2014: Hormone, Thieme Verlag). COVID 19 senkt die Produktion von Cholesterin (Bojkova et a. 2020: s. untern) und schwächt damit die gegenregulatorische endokrine Achse. Der Effekt wird verstärkt, wenn Statine gegeben wurden, was bei älteren Patienten eher die Regel als die Ausnahme ist. Es ist zudem wahrscheinlich, dass sich im Krankheitsverlauf eine Insulinresistenz entwickelt. Hierzu liegen mir bisher allerdings keine Daten vor.

Bereits zu diesem Zeitpunkt können Corona Patienten auch ohne Beatmung versterben. Das Risiko ist besonders dann hoch, wenn mehrere schwerwiegende Systemkrankheiten und metabolische sowie immunologische Defizite vorliegen. Diese Gruppe hat allerdings bei jedweder Virusinfektion ein hohes Letalitätsrisiko. Es ist nicht COVID-19 spezifisch. Ich habe solche Patienten an ganz simplen, grippalen Infekten (nicht Influenza) sterben sehen. Was macht das besondere Risiko der Beatmung bei COVID-19 aus?

2. Die Auswirkungen der Beatmung.

Der Motor der Mitochondrienfunktion ist die Spannungsdifferenz (ΔE) zwischen zugeführtem Sauerstoff und Nicotinamidadenindinukleotid (NADH). Es resultiert daraus das Angebot von Protonen (H+) für die Atmungskette und der Überschuss an Elektronen (e‾). An dieser Stelle setzt das Risiko der Beatmung ein. Erhöhe ich den Sauerstoff Flow, setzt ein Übermaß der Produktion von e‾ ein. Das mehr als 2 Milliarden Jahre alte unersetzliche, evolutionär nie aussortierte Ubiquinol könnte hier in gewissem Maß kompensieren. Die meisten Menschen sind damit unterversorgt. Das gilt besonders für ältere Patienten, da zahlreiche Medikamente (Statine, Antihypertensiva, Antihypertonika u.v.a.m.) den Spiegel senken und die Nahrung nicht genügend enthält. Die Polypragmasie insbesondere bei den alten Patienten ist ein erheblicher zusätzlicher Risikofaktor. Der Überschuss an Elektronen führt, wie bereits dargestellt, einerseits zu einer erhöhten Bildung von H2O2 sowie H2O. Es kommt zum Ödem, das auch dadurch gefördert wird, das COVID-19 anders als bisherige Corona Viren die gesamte Proteinbildung erhöht und nicht nur die der Proteine, die für die Virusreduplikation benötigt werden (Bojkova et al. 2020: Proteomics of SARS-CoV2-infected host cells reveals therapy targets. Nature. https://doi.org/10.101038/s41586-020-2332-7). Es entsteht das Bild der Fluid Lung, wie es auch bei Dialysepatienten vorkommen kann und die das Gefühlt des Ertrinkens verursacht. Gleichzeitig wird durch Superoxid mit NO massiv Peroxinitrit gebildet, so dass die Beatmung in einer Situation proinflammatorisch wirkt, da die Inflammation längst außer Kontrolle ist.

3. Exogene Einflüsse und Oxidative Burst

Exogene Noxen beeinflussen diesen Prozess nachteilig. Alle im Gewebe lagernden Übergangsmetalle (OZ: 21-30, 39-48; 57-80; 89-112) wirken für diese Prozesse katalytisch, da sie zusätzlich Elektronendonatoren sind. Auch Stickstoffdioxid ist ein exogener Faktor, der verschlimmernd einwirkt (Ogen 2020: Assessing nitrogen dioxide (NO2) levels as a contributing factor to coronavirus (COVID-19) fatality. Science Tot Environ 138605). Dies erklärt die besonderen Probleme in Gebieten mit hoher Luftverschmutzung. Am Ende des Beatmungsprozesses ist das Risiko für einen oxidative burst hoch. Es kommt dann zur Zerstörung der Granulozyten, insbesondere der Neutrophilen sowie der Makrophagen. Das kann final zu einer Milzhyperplasie führen. Die Abwehr bakterieller Co-Infektionen erlischt dann völlig.

Das beiliegende Positionspapier 2 habe ich vor sieben Wochen an die Vorsitzenden der beiden deutschen Gesellschaften für Intensiv- und Notfallmedizin geschrieben. Die Fakten sind dort etwas einfacher dargestellt. Auf die unter 6. aufgeführte Therapieempfehlung darf ich verweisen und gebe sie hier nicht noch einmal wieder. In Anbetracht meiner Kenntnisse komme ich zu dem Ergebnis, dass künstliche Beatmung von COVID-19 Patienten keine sinnvolle Therapiemaßnahme ist. Ihr Einsatz bei COVID-19 Patienten erhöht das Risiko des letalen Ausgangs über das durch das Virus bedingte Maß hinaus. Der prognostizierte Engpass an Beatmungsgeräten stellt keine Basis für gesundheitspolitische und politische Entscheidungen dar. Die Geräte sind nicht erforderlich.

Wenn Sie den Text bis hierher gelesen haben, bedanke ich mich herzlich. Wenn Sie es möchten, erreichen Sie mich unter Mobil: {Anm. d. Red.: Nummer entfernt}. Falls ich nicht zu erreichen bin, bitte ich um eine Voice Mail.

Mit freundlichen Grüßen

Kurt E. Müller

Anlagen: Abbildungen zum Text, Positionspapier 2